Die Apparatschiks in Ostberlin platzten fast vor Stolz. Als vor 30 Jahren bei Moskau eine Rakete abhob, war das in der DDR tagelang die Top-Nachricht. Mit an Bord von "Sojus 31" war der DDR-Bürger Sigmund Jähn, der als erster Deutscher ins All flog
Die Führung in Ostberlin jubelte. Aber nicht mal dem Genossen Jähn selbst war der Kult um seine Person ganz geheuer. Der heute 71-Jährige war am 26. August 1978 nach jahrelangen Vorbereitungen mit dem Russen Waleri Bykowski im Raumfahrtbahnhof Baikonur gestartet. Die DDR-Führung war komplett aus dem Häuschen und wertete den Flug als "weiteren Beleg" für die Überlegenheit des Sozialismus
Zeitgleich mit dem Zünden der Rakete hatte Ostberlin eine gut vorbereitete Propaganda-Kampagne gestartet. Nur wenige Stunden nach dem Start wurde in Ostberlin eine Sonderausgabe des "Neuen Deutschland" verteilt. "Der erste Deutsche im All, ein Bürger der DDR", stellte das Zentralorgan der Machthaber zufrieden fest. Dabei setzte der damalige Partei- und Staatsschef Erich Honecker sogar die übliche Sprachregelung außer Kraft, wonach es eigentlich nur Bürger der DDR und Bürger der BRD gab, aber keine Deutschen
Funk und Fernsehen unterbrachen ihr laufendes Programm für Sondersendungen. Während seiner mehrtägigen Reise wandte sich Jähn schließlich selbst an die "lieben Fernsehzuschauer der Deutschen Demokratischen Republik" und versicherte, er sei sehr glücklich darüber, als erster Deutscher an diesem bemannten Weltraumflug teilnehmen zu dürfen. Erst fünf Jahre später flog mit Ulf Merbold ein Westdeutscher ins All
Sieben Tage, 20 Stunden und 49 Minuten dauerte die "Interkosmos"-Mission. Dann schlug die Kapsel härter als geplant in der kasachischen Steppe auf. Die Offiziellen brachte das nicht aus dem Konzept. Nun ging der Rummel um den Kosmonauten aus dem kleinen Ort Morgenröthe-Rautenkranz im Vogtland erst richtig los. Man benannte Schulen und Schiffe nach dem Sachsen. Die Parteiführung organisierte Paraden, überhäufte ihn mit Ehrungen. Ob er wollte oder nicht: Jähn wurde zu einer Art Volksheld
Obwohl er sich bei der unsanften Landung am Rücken verletzt hatte, lächelte er tapfer, schüttelte immer wieder Hände und widmete den Flug "meinem sozialistischen Vaterland". Besonders wohl schien sich der Vorzeige-Kommunist dabei aber nie zu fühlen, der 1955 in die SED eingetreten war und vor seinem Weltraumflug als Pionierleiter und Jagdfliegerpilot bei der Nationalen Volksarmee tätig war
Nach dem Mauerfall bekannte er einmal, bei seinen Reden sei kein einziges Wort von ihm gewesen. Kolportiert wird auch, er hadere mit sich, weil er sich einst sehr bereitwillig vor den Propagandakarren habe spannen lassen
Rummel um den Flug sorgte für Spott Beeindrucken wollte die DDR-Spitze nicht nur den Westen. Ostberlin hoffte zugleich, in der eigenen Bevölkerung zu punkten und von den anhaltenden Problemen ablenken zu können. Der Plan schien zunächst aufzugehen. Doch irgendwann kippte die Stimmung - die SED hatte den Bogen überspannt
Da half es auch nichts, dass außer Jähn und einem Honecker-Porträt auch eine hochauflösende "Multispektral-Kamera" mit ins All geschickt worden war. Weil die Nachrichtensendungen der DDR und die Zeitungen auch auf die Spezial-Kamera "made in GDR" immer wieder und in aller Ausführlichkeit hinwiesen, spottete der Volksmund irgendwann nur noch genervt über die "Multispektakel-Kamera"
Der Raumfahrt ist der "Fliegerkosmonaut der DDR" und "Held der Sowjetunion" auch nach der Wiedervereinigung treu geblieben. Jähn, der in der DDR bis zum General aufstieg, ist heute für die europäische Raumfahrtorganisation Esa und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) als Berater tätig. Doch trotz des Kults um seine Person hat er seine damalige Entscheidung für den Allflug offenbar nie bereut: "Als Pilot konnte ich dem Angebot, so eine Raumkapsel zu fliegen, einfach nicht widerstehen", sagte er bei einem seiner seltenen öffentlichen Auftritte vor drei Jahren. |